Was ist wichtiger – spielerische Klasse oder psychologisches Momentum?

Autor: Prof. Dr. Darko Jekauc, 21.06.2018

Das Spiel gegen Schweden steht vor der Tür. Die deutsche Nationalmannschaft hat deutlich mehr spielerische Qualität als die schwedische Mannschaft. Das psychologische Momentum ist jedoch auf der Seite der Schweden. Worauf wird es im Spiel ankommen?

 

Das psychologische Momentum der deutschen Nationalelf

 

 

Die deutsche Nationalmannschaft ist mit hohen Erwartungen zur Weltmeisterschaft nach Russland 2018 gereist. Als Weltmeister von 2014 hat der deutsche Fußballbund die Mission „Titelverteidigung“ ausgerufen. Noch nie zuvor stand der deutschen Fußballnationalmannschaft eine so große Auswahl an international erfahrenen und gestandenen Fußballspielern zur Verfügung. Spieler mit internationalem Renommee wie Leroy Sane und Mario Götze, welcher im Finale der Weltmeisterschaft 2014 das entscheidende Tor gegen Argentinien geschossen hat, konnten aufgrund der hohen Konkurrenz innerhalb der Mannschaft zuhause gelassen werden. Die spielerische Qualität der deutschen Nationalmannschaft war zweifelsohne noch nie so groß. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an den amtierenden Weltmeister.

 

Entgegen dieser Erwartungen sind die Testspiele der Nationalauswahl relativ schwach ausgefallen. Von den fünf Vorbereitungsspielen wurden zwei verloren (gegen Brasilien und Österreich), zweimal unentschieden gespielt und ein magerer Sieg gegen die schwachen Saudis (2:1) wurde eingefahren. Bei keinem der Testspiele konnte die Nationalmannschaft überzeugen und Selbstvertrauen tanken.

 

 

Belastend hinzu kam die öffentliche Unterstützung der beiden türkischstämmigen Nationalspieler Özil und Gündogan für den politischen Wahlkampf des türkischen Präsidenten Erdogan. Trotz der Angaben des DFB, dass nach einer Aussprache die Affäre bereinigt sei, sind Pfiffe der Zuschauer bei der Einwechslung vom Spieler Gündogan beim Testspiel gegen Saudi-Arabien nicht ausgeblieben. Diese Vorkommnisse sind nicht spurlos an der Nationalmannschaft vorbeigegangen, wie Toni Kroos in der Pressekonferenz durchschimmern lässt.

 

 

Das Auftaktspiel gegen Mexiko ist dann schließlich komplett danebengegangen. Im Vergleich zu den frisch aufspielenden und quirligen Mexikanern wirkte die deutsche Elf behäbig und mutlos. Mit schnellen Vorstößen nach gewonnen Zweikämpfen setzten die Mexikaner immer wieder Nadelstiche in die Abwehr der deutschen Nationalmannschaft. Am Ende gewann die mexikanische Auswahl verdient mit 1:0. Die Reaktion der Öffentlichkeit ließ nicht lange auf sich warten. Von allen Seiten hagelte es Kritik für die deutsche Nationalmannschaft ein. Die emotionale Lage und das damit verbundene psychologische Momentum könnten nicht schlechter für die deutsche Auswahl ausfallen.

 

Das psychologische Momentum der schwedischen Nationalelf

 

Die schwedische Nationalmannschaft hat sich in einer starken Gruppe mit Frankreich und Niederlanden als Tabellenzweiter für die Playoffs zur Teilnahme an der WM qualifiziert. In den Playoffs setzten sich die Schweden mit einer starken Mannschaftsleistung knapp gegen Italien durch und qualifizierten sich somit für die Weltmeisterschaft. Damit hat die schwedische Auswahl zwei große Fußballnationen, Niederlande und Italien, aus dem Rennen um die Teilnahme an der WM geworfen, was als ein großer Erfolg gewertet werden kann.

 

Die Vorbereitungsmatches der Schweden verliefen ähnlich holprig wie die der deutschen Nationalmannschaft. Von den vier Testspielen wurden zwei Matches verloren (0:1 gegen Rumänien und 1:2 gegen Chile) und zwei Matches unentschieden gespielt (jeweils 0:0 gegen Dänemark und Peru). Auffallend schwach fiel die Offensivleistung der Schweden aus, die nur ein Tor in vier Testspielen erzielen konnten.

 

 

Im Unterschied zur deutschen Nationalmannschaft konnte die schwedische Auswahl jedoch das erste Gruppenspiel gewinnen. Anhand eines verwandelten Foulelfmeters sicherten sich die Schweden den knappen Sieg von 1:0. Trotz der schwachen Leistungen in den Testspielen kann die schwedische Nationalelf dank eines knappen Sieges beim Auftaktspiel und einer starken WM-Qualifikation mit einem guten Gefühl ins Spiel gegen Deutschland gehen. Sie haben gezeigt, dass sie auch gegen große Fußballnationen in wichtigen Spielen bestehen können. Darauf basiert ihr psychologischer Vorteil.

 

Spielerische Klasse im Überblick

 

Obwohl die deutsche Nationalmannschaft ein schwaches Momentum hat, ist ihre spielerische Klasse deutlich höher als die der Schweden. Als grobes Maß für die spielerische Klasse eines Fußballers kann sein Marktwert herangezogen werden. Nach Schätzungen des Portals transfermarkt.de betrug der Marktwert aller schwedischen Spieler in der Anfangsformation beim Auftaktspiel 66,5 Mio. €, während der Marktwert der deutschen Spieler in der Anfangsformation beim Auftaktspiel bei 521 Mio. € lag. Inwieweit der Marktwert die tatsächlichen spielerischen Qualitäten der beiden Mannschaften widerspiegelt, sei dahingestellt. Man kann jedoch mit großer Sicherheit sagen, dass das Renommee der deutschen Nationalspieler sehr viel höher ist als der der schwedischen Nationalspieler. Beispielsweise gehören Toni Kroos, Mats Hummels oder Jerome Boateng auf ihren Positionen zu der Kategorie der wertvollsten Spieler der Welt, während das für keinen einzigen Spieler der schwedischen Nationalmannschaft zutrifft.

 

Wer gewinnt das Spiel?

 

 

Der Ausgang dieses Spiels lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen. Der Buchmacher Bwin baut seine Wettquote so auf, dass die Gewinnchancen der deutschen Nationalmannschaft 5,7mal größer sind als die der schwedischen Mannschaft. Inwieweit das realistisch ist, lässt sich kaum prüfen. Dieses Spiel wird uns jedoch offenbaren, was wichtiger ist: die spielerische Klasse oder das psychologische Momentum. Falls es auf die spielerische Klasse ankommt, müsste die deutsche Nationalmannschaft einen deutlichen Sieg einfahren. Falls es jedoch auf das psychologische Momentum ankommt, dürften die Schweden durchaus gute Chancen auf einen Sieg haben. Wir werden es sehen!