Achtsamkeit im Leistungssport

“When players practice what is known as mindfulness  – simply paying attention to what’s actually happening – not only do they play better and win more, they also become more attuned with each other.”

Phil Jackson, elfmaliger Gewinner der NBA-Meisterschaft als Coach


Das der fernöstlichen Tradition entstammende Konzept der Achtsamkeit findet auch in der Sportpsychologie zunehmende Beachtung. Achtsamkeit, so die Hoffnung, kann zur Steigerung der Konzentration beitragen und Flow-Erleben erleichtern – und schließlich die sportliche Leistung optimieren. Zwei vielversprechende Trainingsprogramme wurden bereits entwickelt.

 

Achtsamkeit (engl. mindfulness) sowie andere Formen der Meditation haben schon seit langem das Interesse des Spitzensports geweckt. Wie das obige Zitat von Phil Jackson, einer der erfolgreichsten Basketballcoaches der heutigen Zeit, andeutet, kann die Leistung im Spitzensport durch das Praktizieren der Achtsamkeit noch weiter optimiert werden. Trotz dieser vereinzelten Bekenntnisse aus dem Spitzensport galten die Praktiken der Achtsamkeit und der Meditation lange als religiös-spirituell und unwissenschaftlich. Erst durch die Aufnahme achtsamkeitsbasierter Verfahren in das Repertoire der klinischen Psychologie und eine systematische Überprüfung ihrer Wirksamkeit hat sich ihr Image gewandelt. Denn die Ergebnisse von Evaluationsstudien zeigen, dass das achtsamkeitsbasierte Training sowohl in klinischen als auch in nicht-klinischen Populationen zur Reduzierung der Symptome von Stress, Angst und Depression führt, sowie einen effektiven Umgang mit Emotionen schult. In der Folge hat sich eine Diskussion über die Möglichkeiten eines Einsatzes der achtsamkeitsbasierten Verfahren im Spitzensport auch in den wissenschaftlichen Kreisen der Sportpsychologie entwickelt. Da ein effektiver Umgang mit eigenen Emotionen und Gedanken eine Voraussetzung für Höchstleistungen ist, liegt eine Übertragung dieses Konzepts auf den sportpsychologischen Kontext auf der Hand.

 

 

► Was ist Achtsamkeit?

 

Achtsamkeit wird definiert als ein nichtbewertender Fokus der eigenen Aufmerksamkeit auf die augenblickliche Erfahrung. Das Ziel dabei ist ein Verweilen im Hier und Jetzt ohne die empfundenen Gefühle, Gedanken oder Wahrnehmungen zu bewerten.

Nach dem Modell von Dimidjian und Linehan (2003) beinhaltet Achtsamkeit zwei Dimensionen: “Was“ und “Wie“. Die Was-Dimension beschreibt, was die Achtsamkeit ausmacht und umfasst drei Aspekte: a) Beobachtung, was erfahren wird, b) Beschreibung der Erfahrungen und c) Teilnahme an den Erfahrungen. Die Wie-Dimension schließt ebenfalls drei Aspekte ein und bezieht sich auf die Art und Weise, wie vorgegangen wird: a) nichtbewertend mit Akzeptanz, b) im augenblicklichen Moment und c) wirksam.

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Das Zweikomponenten Modell der Achtsamkeit.

► Wirkmechanismen und Einordnung

 

Die klassischen sportpsychologischen Techniken (z.B. Erregungsregulation, Zielsetzungstraining, Selbstgesprächsintervention, Vorstellungstraining) basieren auf der Annahme, dass die Fähigkeit zur Kontrolle der eigenen Zustände (z.B. Emotionen, Kognitionen oder Wahrnehmungen) Voraussetzung für die optimale Leistung ist. Achtsamkeitsbasierte Techniken haben viele Parallelen zu den etablierten sportpsychologischen Methoden, werden aber mit einer anderen Zielsetzung angewandt.
Während etwa die gängige Methode der Aktivationsregulation darauf abzielt, den Erregungszustand zu verändern, versucht die achtsame Meditation nicht, diesen Zustand zu beeinflussen. Anstatt negative Gedanken und Emotionen zu beseitigen und positive Gedanken und Emotionen zu kontrollieren, zielt der achtsamkeitsbasierte Ansatz auf ein nichtbewertendes Bewusstsein und die Akzeptanz des eigenen psychischen Zustands ab.

 

In der sportpsychologischen Literatur wurden drei mögliche Wirkmechanismen diskutiert, wie ein Training der Achtsamkeit die Leistung im Spitzensport beeinflussen könnte. Erstens wird vermutet, dass das Training der Achtsamkeit die Entstehung von Flow begünstigt, der als ein Zustand der optimalen Leistungsfähigkeit gilt. Zweitens wird angenommen, dass das Training der Achtsamkeit die Konzentrationsleistungsfähigkeit verbessert, vor allem bezüglich der Regulation und der Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit auf die aufgabenrelevanten Aspekte des Sports über einen gewissen Zeitraum hinweg. Drittens wird gemutmaßt, dass das Training der Achtsamkeit die Emotionsregulation beeinflusst, so dass negative Emotionen und Gedanken effektiver verarbeitet werden. Im Folgenden werden diese drei Wirkmechanismen genauer dargestellt.

Wirkmechanismen im Leistungssport
Wirkmechanismen im Leistungssport

► Achtsamkeit und Flow

 

Wenn Sie mehr über den Flow-Zustand erfahren möchten, schauen Sie in unseren Text über Konzentration.

Die Konzepte Achtsamkeit und Flow haben einiges gemeinsam. Beide Konzepte teilen die Betonung auf die geistige Präsenz im augenblicklichen Moment und eine „selbstvergessene“ Konzentration auf die bevorstehende Aufgabe. Empirische Studien belegen den Zusammenhang: Eliteschwimmern im französischen Nationalteam, bei Bogenschützen und Golfern, sowie bei Ruderern und Läufern stellte man stets fest: Je größer die Fähigkeit zur Achtsamkeit, desto mehr Flow erleben die Sportler. Die Begründete Hoffnung: Achtsamkeitstraining ermöglicht Flow-Erleben. Und Flow optimiert die Leistung. Da die bisherigen Studien jedoch einige methodische Mängel aufweisen, lassen sich noch keine gesicherten Schlussfolgerungen treffen.

► Achtsamkeit und Konzentration

 

Zur Bedeutung – und Steigerung – der Konzentrationsfähigkeit finden Sie vertiefte Informationen im Kapitel Konzentration.
Wie oben dargestellt, ist die Regulation der Aufmerksamkeit ein Kennzeichen der Achtsamkeit. Die meisten praktischen Übungen der Achtsamkeit zielen auf das Lenken der Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte wie den eigenen Atem oder die augenblickliche Präsenz. In der Tat weisen empirische Studien darauf hin, dass das achtsamkeitsbasierte Training zu Verbesserungen in der Aufmerksamkeit führen kann. Vor allem im Kontext außerhalb des Sports konnte gezeigt werden, dass ein achtsamkeitsbasiertes Training zu Verbesserungen der selektiven  Aufmerksamkeit, der anhaltenden Aufmerksamkeit, der orientierenden Aufmerksamkeit und der Aufmerksamkeitsflexibilität führt. Vermutlich stellt die Verbesserung der unterschiedlichen Arten von Aufmerksamkeit einen wichtigen Wirkmechanismus im Zusammenspiel von Achtsamkeit und sportlicher Leistung dar. Empirische Studien im Sportkontext fehlen jedoch fast gänzlich, so dass dahingehend keine gesicherte Aussage getroffen werden kann. Lediglich Aussagen von Athleten in Einzelfallstudien lassen vermuten, dass das achtsamkeitsbasierte Training zu Verbesserungen der Konzentrationsfähigkeit im Sport führt.

► Achtsamkeit und Emotionen

 

Der Einfluss von Emotionen auf die Leistungsfähigkeit im Sport ist schon lange Thema der sportpsychologischen Forschung. Vor allem die negativen Emotionen standen lange im Fokus der Forschung, während die positiven Emotionen erst in den letzten zwei Jahrzehnten häufiger untersucht wurden. Im Allgemeinen scheinen die negativen Emotionen einen negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit im Sport zu haben. (Mehr dazu in unseren Artikel zum Thema Wettkampfangst.) Die positiven Emotionen stehen im Allgemeinen mit einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit in Verbindung (Hier gibt’s Informationen zum Thema Selbstvertrauen aus sportpsychologischer Sicht). Vor allem außerhalb des Sportkontextes zeigt eine Fülle von Studien, dass ein Achtsamkeitstraining positive Emotionen fördert und das Ausmaß von negativen Emotionen verringert. Auch im Sportkontext gibt es erste Hinweise auf solche Effekte. So wurde beispielsweise demonstriert, dass das Training der Achtsamkeit zur Reduktion der Wettkampfangst führen kann. Auch hier wird jedoch noch weitere Forschung benötigt.

► Umsetzung in die Praxis

 

Die Praktiken der Achtsamkeit und der Meditation haben eine lange Vorgeschichte im Leistungssport, die vor allem auf persönlichen Erfahrungen der Leistungssportler und Trainer beruhen. Die erste empirische Studie zum Einsatz von achtsamkeitsbasiertem Training im Leistungssport wurde von Kabat-Zinn, Beall und Rippe (1985) mit College- und Olympiaruderern durchgeführt. Beide Gruppen berichteten von substantiellen Leistungsverbesserungen, wobei die Olympioniken einige Medaillen in nachfolgenden Olympischen Spielen gewannen. Trotz dieser ermutigenden Ergebnisse wurde dieser Ansatz in den nachfolgenden 20 Jahren im Leistungssport nicht weiter systematisch verfolgt. Derzeit existieren im englischsprachigen Raum zwei achtsamkeitsbasierte Interventionsprogramme für den Leistungssport: Mindfulness–Acceptance–Commitment Approach (MAC) und Mindful Sports Performance Enhancement (MSPE).

Mindfulness–Acceptance–Commitment Approach

Das erste systematisch für die Praxis des Leistungssports entwickelte achtsamkeitsbasierte Programm stellt der Mindfulness-Acceptance-Commitment Approach dar (Gardner & Moore, 2004). Dieses Programm adaptiert und integriert Inhalte psychotherapeutischer Anwendungen. Das Programm besteht aus sieben Modulen, welche in fünf Phasen zusammengefasst werden können. Die erste Phase dieses Programms ist von Psychoedukation geprägt. Im anschließenden Schritt wird das Konzept der Achtsamkeit eingehend vorgestellt. Es werden Techniken der Achtsamkeit, wie der Body Scan, achtsames Atmen oder auch eine sportspezifische Pre-Game Dehnung geschult. Die Übungen werden in den Lehreinheiten vorgestellt und sollen dann selbstständig zuhause, beim Training und im Wettkampf angewandt werden. In der dritten Phase wird vor allem Zielsetzung und Zielerreichung thematisiert. In der vierten Phase sollen die Teilnehmer den Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten erkennen lernen. Es geht hauptsächlich darum, automatisierte Verhaltensweisen, welche durch Gedanken und Gefühle reflexartig ausgelöst werden, aufzubrechen und ein offeneres Erleben, das von Akzeptanz geprägt ist, zu erreichen. Die letzte Phase des MAC Protokolls fokussiert darauf, das Erlernte vollständig sowohl in den sportlichen als auch in den allgemeinen Alltag zu integrieren.

Erste MAC-Fallstudien legen nahe, dass das Training positive Wirkungen auf Aufmerksamkeit und Leistung hat. Aufgrund methodischer Schwächen sind die Ergebnisse jedoch mit Vorsicht zu genießen. Von Heinz, Heidenreich und Brand (2012) wurde das MAC-Programm ins Deutsche übertragen und auf Wirksamkeit überprüft. Insgesamt lieferten die Studien vielversprechende Ergebnisse, die bis jetzt noch nicht veröffentlicht wurden. Auch die Protokolle zur Durchführung des Programms liegen bis jetzt nicht vor.

Mindful Sports Performance Enhancement

2009 stellten Kaufman et al. (2009) das Mindful Sports Performance Enhancement (MSPE) als ein vierwöchiges Programm vor. Dieses Programm wurde an die Bedürfnisse des Leistungssports angepasst und hat ebenfalls Elemente aus klinischen Anwendungen entlehnt. In der Einführungssitzung wird zunächst mit Psychoedukation gearbeitet und in diesem Zusammenhang auch eine Begründung für die Nützlichkeit der Anwendung von Achtsamkeit im Sport dargelegt. Jede Einheit des Programms beinhaltet bewährte Übungen und Schlüsselelemente wie den Body Scan, achtsames Atmen oder Meditation. Das MSPE Programm bietet zusätzlich eine Meditationsart im Gehen an, die speziell für den Sport modifiziert wurde.

Das Programm besteht aus insgesamt vier Übungseinheiten, die zweieinhalb bis drei Stunden in Anspruch nehmen. Zwischen den Übungseinheiten bekommen die Sportler Aufgaben, welche sie eigenständig absolvieren sollen.

Derzeit liegen zwei Interventionsstudien zur Wirksamkeit von MSPE vor. In der ersten Studie mit 11 Bogenschützen und 21 Golfern stellen Kaufman et al. (2009) fest, dass MSPE das Flow-Erleben, Achtsamkeit sowie das Selbstvertrauen der Sportler fördert. In der zweiten Studie konnten De Petrillo, Kaufman, Glass, and Arnkoff (2009) feststellen, dass bei 25 Freizeitjoggern nach dem Abschluss der Intervention die Wettkampfängstlichkeit sank und Achtsamkeit als Trait stieg, wobei sich die Laufzeiten nicht signifikant veränderten. Die empirische Grundlage ist nicht ausreichend, um die Wirksamkeit dieses Programms akkurat zu bewerten. Die Autoren kündigen jedoch weitere Studien an, in denen die langfristigen Folgen des Trainings beobachtet werden sollen.

 

 

► Literatur

 

De Petrillo, L. A., Kaufman, K. A., Glass, C. R., & Arnkoff, D. B. (2009). Mindfulness for long-distance runners: An open trial using Mindful Sport Performance Enhancement (MSPE). Journal of Clinical Sport Psychology, 25(4), 357-376.

Dimidjian, S., & Linehan, M. M. (2003). Defining an agenda for future research on the clinical application of mindfulness practice. Clinical Psychology: Science and Practice, 10(2), 166-171.

Gardner, F. L., & Moore, Z. E. (2004). A mindfulness-acceptance-commitment-based approach to athletic performance enhancement: Theoretical considerations. Behavior Therapy, 35(4), 707-723.

Heinz, K., Heidenreich, T., & Brand, R. (2012). Entwicklung und Effektüberprüfung eines achtsamkeitsbasierten sportpsychologischen Trainings zur Aufmerksamkeits- und Emotionsregulation. In J. Fischer (Ed.), BISp-Jahrbuch Forschungsförderung 2010/11 (pp. 235-238). Bonn: Bundesinstitut für Sportwissenschaft.

Jackson, P., & Delehanty, H. (1996). Sacred hoops: Spiritual lessons of a hardwood warrior. New York: Hyperion.

Kabat-Zinn, J., Beall, B., & Rippe, J. (1985). A systematic mental training program based on mindfulness meditation to optimize performance in collegiate and Olympic rowers. Paper presented at the World Congress  in Sport Psychology, Copenhangen, Denmark.

Kaufman, K. A., Glass, C. R., & Arnkoff, D. B. (2009). Evaluation of Mindful Sport Performance Enhancement (MSPE): A new approach to promote flow in athletes. Journal of Clinical Sport Psychology, 25(4), 334-356.